Nach über fünf Monaten Recherchearbeit meldet sich das Team um MovieJam Studios zurück an die Öffentlichkeit- mit einem Projekt über unsere Gesellschaft, das kontinuierlich aktueller wird.
„Unsagbarer Stress am Arbeitsplatz, unendlich viele E-Mails, unzählige Krankschreibungen, tagelanges Liegen im Bett, soziales Auskoppeln.“
So sieht das Bild der Depression, das viele Experten aus zahlreichen Bereichen wie der Soziologie, der Psychologie, der Genealogie, der Wirtschaft und der Philosophie mitunter zeichnen, aus. Während die Medien von einer Verdoppelung von krankheitsbedingten psychischen Ausfällen im letzten Jahrzehnt berichten und über Antistressverordnungen gestritten wird, vergisst man eine Altersgruppe ganz kategorisch: Die Jugend.
Die vergessene Jugend
Die neueste DEG-Studie verzeichnete 2013 zum ersten Mal einen „Realfallanstieg“ von depressiven Jugendlichen. Das heißt: Es gibt nicht lediglich mehr Jugendliche, denen eine Depression diagnostiziert wird, sondern einen tatsächlichen Zuwachs an psychischen Krankheitserscheinungen, die durch Stress verursacht werden.
Beleuchtet wurde diese Entdeckung allerdings nicht wirklich. Die Suche nach den Ursprüngen dieses Anstiegs startet nicht. Deshalb wollen wir mit „Grau ist keine Farbe“ die gesellschaftliche Debatte anstoßen. Währenddessen bedient man sich derweil zwei scheinbar universellen oft einsetzbaren gegenteiligen Erklärungsansätzen, die das wirkliche Problem allerdings unzureichend erörtern.
Unzureichende Thesen
Die eine Seite spricht stets von der Leistungsgesellschaft, die uns zu viel abverlangt, von der Neuorientierung im familiären Sinne, also der Emanzipation- die Frau soll sich um Beruf und Kind zugleich kümmern- und verfällt in einen Stresszustand. Jene Meinungsvertreter sprechen von unfairen Arbeitszeiten, machen final den Kapitalismus für eine Depression verantwortlich.
Die andere Seite behauptet, dass die Rolle der Gesellschaft in Bezug auf psychische Krankheiten, wie der Depression, überbewertet werde.
Depressive Menschen gäbe es schon immer- ob wir nun wollen oder nicht.
Beide aufgestellten Meinungsbilder pauschalisieren extrem, vergessen zum Teil den Zusammenhang von Gesellschaft und Stress, erwägen bewusst den Anschein einer Übersensibilität, und sehen den eindeutig großen Hauptteil der Menschen nicht, der mit unseren Leistungsanforderungen eben doch zurechtkommt. Im Wesentlichen erwähnen beide Seiten, viel zu überzeugt von ihrer eigenen gesellschaftspolitischen Gesinnung, eines völlig unzureichend: Die Jugend.
Deshalb soll das einstündige Dokudrama „Grau ist keine Farbe“, nach gesellschaftlichen, erfolgreichen und preisgekrönten Filmen wie „Unvergessen“ über die Opfer des OEZ-Amoklaufs in München oder „Das (Bildungs)system“, eine Reportage mit kritischen Blick auf die deutsche Bildungslandschaft, einen Anreiz für eine neue Sichtweise geben. Alle Filme wurden alleine von 15 bis 17-jährigen Schülern produziert, in Münchens größtem Kinokomplex, dem Mathäser Filmpalast, prämiert und gewannen den Münchner Jugendfilmpreis sowie den Tassilokulturpreis der Süddeutschen Zeitung. Die Dokumentationen wurden für den Camgaroo Filmaward und weitere internationale Filmfestivals nominiert. Die Presse berichtete bereits über die anderen Projekte in mehr als 35 Beiträgen, die teilweise bundesweit publiziert wurden.
Warum werden mehr Jugendliche depressiv als früher?
Was hat sich im letzten Jahrzehnt verändert, dass Stressfaktoren ansteigen konnten?
Die Frage lässt sich nicht zwangsweise mit vermeintlich übersensiblen Helikoptereltern, überfordernder Bildung, Mobbing oder Freizeitmangel vollumfänglich beantworten.
Diese Probleme gab es früher, wenn auch in anderer Form, ebenfalls.
Die signifikanteste gesellschaftliche Veränderung liegt in der Individualität der Jugend. Im Gegensatz zu vorherigen Generationen haben Jugendliche heute viel mehr Wahlmöglichkeiten im Leben.
Der renommierte Schriftsteller Alain Ehrenberg sah in seinem internationalen Bestseller „Das erschöpfte Selbst“ bereits: Mehr persönliche Entscheidungsgewalt macht dem Menschen zu schaffen und stresst ihn. Doch wir wollen jenen Gedanken weiterformen: Nur unerklärte steigende Individualität macht dem Menschen zu schaffen.
Freie Entscheidungsgewalt ohne vollumfängliche Erklärung: Im vielseitig komplizierten Schulsystem, in der Ausbildung, später in überkomplexen Studiengängen, genauso wie bei geforderter Kreativität im Beruf. Der Lauf des Lebens in jungen Jahren, soll nicht institutionalisiert, also einseitig sein, sondern in seiner möglichen Vielschichtigkeit erklärt werden.
Völlig unterbewertet wird hier beispielsweise die Rolle der Digitalisierung im Jugendsektor. So ist es schon jahrelang kein Geheimnis mehr, dass übermäßiges digitales Konsumverhalten, einen Stressfaktor darstellt. Nun sitzen Jugendliche aber nicht nur wie Erwachsene, die digital-und Realleben sowieso noch besser trennen können, lediglich in der Arbeit vor unzähligen E-Mails, sondern allzeit vor Smartphones, Konsolen, Tabletts, Computern. Ob Zuhause, in der Schule, im Auto oder in der Bahn. Nur wenige junge Menschen schaffen es ihren Blick für einige Minuten von technischen Geräten zu lenken. So werden die psychische Gesundheit und die Digitalisierung zwangsweise kollidieren.
Was fehlt? Bei freier Entscheidungsgewalt: Eine Erläuterung.
Unterstützung als Lösung
Es müssen verschiedene individuell anpassbare Wege aufgezeigt werden. Selbst Gymnasiasten, die gerade das Abitur schreiben, wissen oftmals noch nicht, wohin sie wollen, was sie erreichen wollen. Dadurch entstehen vermeidbare Stressfaktoren, die bis in eine Depression führen können.
Oftmalige Folgen: Nicht suizidale Selbstverletzung, wie Ritzen oder übermäßiger Drogengebrauch- bis hin zum möglichen Suizid. Und hier wird Alain Ehrenbergs Grundthese zu Politikum: Man muss jungen Menschen zeigen, welche Möglichkeiten ihnen offen stehen. Dem wird de facto nicht ausreichend nachgekommen. Wenn man dieses Problem des 21. Jahrhunderts löst, so lässt sich einem quantitativen Realfallanstieg der Depression gegebenenfalls entgegensteuern.
Eine einzigartige Sichtweise
„Grau ist keine Farbe“ soll eine einzigartige Jugendliche Sichtweise ermöglichen, weit über Alltagsthesen und Vorurteile hinaus. Anhand von drei jugendlichen Charakteren soll das Leid, das Ausmaß, das Zustandekommen einer depressiven Erkrankung kinematisch dargestellt werden.
Durch das Mischen jener Sequenzen mit dokumentarischen Teilen, die an das Individualisierungsdefizit heranführen, sollen nicht nur die Folgeerscheinungen, die oft zum Politikum werden, behandelt werden, sondern auch viel Gesellschaftliches, das zur Antistigmatisierung beiträgt: Was mache ich, wenn ein guter Freund, ein Familienmitglied oder ein Bekannter depressiv wird? Was mache ich, wenn ich mich selbst depressiv fühle?
Das Dokudrama soll aktuelle und empirische Fakten nutzen, aber auch auf emotionale Weise die Krankheit transparent machen. So kommen auch Jugendliche zu Wort, die ihr seelisches Auf-und Ab schildern oder behandelt wurden, also nun über die jeweiligen Gründe die zur Depression führten sprechen.
Wer könnte jugendliche Stressfaktoren besser analysieren, als wir Jugendliche selbst?
Die Jugendlichen hinter MovieJam Studios befinden sich derzeit in der Drehphase. Die Recherchephase, die vollumfänglich sogar fünf Monate einnahm, ist beendet.
Die Dokumentation „Grau ist keine Farbe“ wird nun mit Unterstützung der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde, der Direktion der Universitätsklinik München, dem Münchner Bündnis gegen Depression, der Bundestherapeutenkammer, dem Medienzentrum München, dem Co-Produzent Andreas Schönhofen und dem Langzeitunterstützer von MovieJam, eigenständigem Editor und Produzenten Rodney Sewell verwirklicht. Auch erfahrene Experten, wie Manfred Spitzer, werden am Projekt teilnehmen.
„Grau ist keine Farbe“- eine Suche nach Ursprüngen, ein Aufbereiten des Status Quo und eine lösungsorientierte Analyse für die bisher wenig beachtete jugendliche Depression.
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